Seelische Gesundheit

Das Thema "Seelische Gesundheit" und die Frage nach dem "was uns Menschen gesund hält?" begleiten mich schon seit Jahren durch mein Leben. Nach meinem Abitur bin ich nach Südafrika für ein Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland gegangen. Allerdings musste ich dieses aufgrund des Ausbrechens einer akuten seelischen Krise ("quarter Life crisis") nach einigen Monaten total erschöpft vorzeitig abbrechen. Auch später im Leben habe ich immer wieder mit verschiedenen Krankheitsschüben und - Episoden (Stimmungsschwankungen) zu tun gehabt, aber - nicht zuletzt durch das Studium der Sozialen Arbeit an der EH Freiburg - auch viel an spezifischem Wissen zu psychosozialen Störungsbildern gesammelt. Es hat mich auch ermutigt und gestärkt, dass ich mein Studium der Sozialen Arbeit erfolgreich (mit der innovativsten Bachelor-Thesis des gesamten Sozialarbeits-Jahrgangs/ Walter-Dennig-Preisträger) abgeschlossen habe! Auch die Erfahrung, beruflich Erfolg zu haben, dran zu bleiben bspw. an Projekten, an Ideen und diese auch konkret umzusetzen, hat mir neu Kraft gegeben (Resilienz). Neben Krankheit bilden ebenso Gesundheit, Hoffnung, Kraft und Ressourcen einen Pool aus dem ich neuen Mut für mein konkretes Leben zu schöpfen gelernt habe: Multipolare, präzise und fein ausbalancierte Lebensgestaltung! 

Auch das Versprachlichen, der Ausdruck, hilft mir persönlich: Sprache und Schreiben als Ventil, Ordnungs-, Klärungs- und Stabilitätshilfe. Immer wieder der Wunsch: Ein stabiles, tragendes System zu haben, auf seelischer Ebene, in der Psyche sowie in meiner selbstverantworteten Lebensführung. Überdies habe ich im Hoffen auf einen sanft liebenden, bejahenden Gott der gültigen Liebe Halt gefunden und sehe hier einen - vorsichtig hergestellten - Zusammenhang, da es bei Seelischer Gesundheit wie auch in der Hoffnung und in der Liebe, im Vertrauen auf Gott (bei allen Zweifeln, und auch im mitunter manchmal Nicht-mehr-glauben-können), um die Frage des Heilseins und des Heilwerdends geht (Schalem=Ganzsein), also um die Frage des Ganzseins des Menschen und des Heilseins seiner konkreten Beziehungen. Um Wirklichkeit und Heiligkeit, um echtes, ganz geliebtes, ganz gelebtes, konkretes und reales Leben im Hier und Jetzt. 

Mit dem kostenfreien Bereitstellen einiger meiner Gedichte auf der Website der "Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen (DGBS)" unterstütze ich im Speziellen das Anliegen der DGBS, die Bedürfnisse von Menschen mit einer Bipolaren Störung in Öffentlichkeit und Gesundheitspolitik zur Geltung zu bringen.


Durch die (poetische und reflektorische) Verarbeitung meiner (Krisen-)Erfahrungen (mit extremen Hochs, Tiefs und anderen Zwischenzuständen) versuche ich, meinen Beitrag zur Entstigmatisierung von Seelischen Störungen zu leisten. Es ist sicher wichtig hier klar Farbe zu bekennen und auch die Angst vor Ablehnung und Stigmatisierung zu überwinden. Allerdings muss jede/r selbst für sich entscheiden wo und wie er was (und wieviel) von sich erzählt oder preisgibt... 

Foto von Julia Dreier
Als Bundesverband der Betroffenen, deren Angehörigen und Professionellen fördert die DGBS den Trialog. Die DGBS wurde 1999 als gemeinnütziger Verein ins Leben gerufen. Sie ist ein unabhängiger, trialogisch aufgestellter Verband, der den Erfahrungsaustausch zwischen Betroffenen, Angehörigen, Professionellen sowie allen am Gesundheitswesen Beteiligten fördert. Hauptanliegen ist es, die Bedürfnisse von Menschen mit einer Bipolaren Störung in Öffentlichkeit und Gesundheitspolitik zur Geltung zu bringen sowie die Forschung, Fortbildung und Selbsthilfe zu fördern.

Foto von Julia Dreier
Die Arbeit der DGBS wird durch die finanzielle Unterstützung von Mitgliedern und Spendern ermöglicht. Nur dadurch kann sie ihre Ziele realisieren und die Situation der Betroffenen verbessern. Unsere Mitglieder sind Angehörige, Betroffene, Professionelle und Interessierte. 

Unter folgenden Link können Sie zudem meine Bachelor-Abschlussarbeit (Soziale Arbeit) kostenfrei herunterladen, in der ich ein trialogisches Poesieprojekt in der Psychiatrie konzipiert, durchgeführt und evaluiert habe:

Recovery und Empowerment in der Sozialpsychiatrie
Die Arbeit wurde mit dem Walter-Dennig-Preis 2014 ausgezeichnet.



 Meine Position und meine persönliche Haltung:

Ich bin persönlich betroffen, aber auch beruflich und als Angehöriger habe und hatte ich schon Kontakt und Erfahrung mit Menschen, die Symptome einer bipolaren oder schizoaffektiven Störung (und auch anderer, "von der Norm abweichender" Zustände) aufwiesen. Zudem habe ich mich beruflich im Studium im Handlungsfeld "Seelische Gesundheit" sowie in meiner zertifizierten Weiterbildung zum Personzentrierten Berater (bei Elisa und Eckart Ruschmann, Freiburg i. Br.) intensiv mit psychischen Störungsbildern und Symptomen sowie mit Selbstarbeit und Reflektion eigener Krisen und "extremer Zustände" auseinandergesetzt. Ich würde also schon sagen, dass ich - vor allem auf der Grundlage eigener Erfahrung - weiss, was es bedeutet, an extremsten Hochzuständen (Manien) sowie an extremsten Teifzuständen (Depressionen) und auch an psychotischen Mischzuständen (mit schizophrenen Anteilen) zu leiden. Für mich waren Gedichte (als Wortfindungshilfe und als Hilfe beim Umgang mit dem Störungsbild/ der Erkrankung), mein Glaube (wenn haltgebend stützend und nicht bedrohlich-kognitiv-verzerrt), Freunde und meine Familie, eine Hilfe in den Höhen und Tiefen. Und im Speziellen meine Frau und das Erfahren von Ihrer vertrauensvollen Liebe in der Beziehung.

Die Liebe (am Boden, im Einfachen und im Alltag) und das liebende-einander-immer-mehr-Erkennen, das Familie-Sein und weiter Werden. Das ist und war für mich bislang das größte Geschenk. Meine Frau Madeleine. Meine Kinder. Mein Leben, trotz der hohen wie der tiefen Zustände. Der Umgang mit und in meinem Leiden (bzw. mit der Tendenz hin zu den Extremen) mit vielen wechselnden Stimmungen und Phasen war und ist für mich extremst herausfordernd und mitunter sehr anstrengend. Auch Krafteinbußen oder das Aushalten und Zeigen-lernen von Schwäche musste und durfte ich lernen. Die Erkankung hat mir - über die Distanz gesehen - doch auch, in gewisser Weise, gut getan. Also an meiner Seele, so habe ich das zwischendurch immer wieder schon auch empfinden können, wurde "wie an mir gearbeitet, gewirkt". Und doch war dieser Läuterungsprozess, wie ich ihn heute vorsichtig deuten würde, unglaublich schmerzhaft. Und es bleibt (immer mal wieder, gerade in Umbruchphasen) herausfordernd damit zu leben. Herausfordernd, anstrengend, aber - ja - die Phasen gehören bei mir mit dazu und das hat mich mit geprägt und ich sehe das Leiden als Bestandteil des Lebens, der nun mal eben auch dazugehört.

Es gibt aber auch nichts zu glorifizieren: Es ist wirklich anstrengend und kraftzehrend einen guten Umgang im Austariert-Moderaten zu finden und auftretende Zustände auszuhalten, auszubalancieren, medikamentös (wenn nötig) gegenzusteuern, sich mit Kraftverlusten und ggf. der "Bedrohung" (da habe ich schon Angst vor als Familienvater) von einer womöglich einmal eintretenden Arbeitsunfähigkeit abzufinden, usw. Auch der Umgang mit Scham oder Angst in seiner, in meiner Schwäche gesehen werden zu können oder das es "entdeckt wird", haben mich immer mal wieder begleitet. Eher auch im beruflichen Kontext. Im künstlerisch-studentischen Bereich kann man mit Kreativität punkten und auch manch eine Schwäche überspielen (Kompensation). Im Beruf, wenn Familie mit dran hängt, ist man vorsichtiger, wenngleich ich von Anfang an den Weg des offenen Umgangs gegangen bin, weiter gehe und immer versucht habe, Erfahrungen zu reflektieren, zu deuten und neu zu integrieren. Das akute Auftreten/ Ausbrechen der Erkrankung (2007/ 2008) war auf jeden Fall ein Einschnitt und doch: Es bleibt mein Leben mit allen Phasen die dazu gehören und letztlich sind es v.a. die ganz extrem entrückten und wahnhaft verzerrten - oftmals wahnhaft religiös überladenen - Zustände gewesen, die wirklich gefährlich waren und die ich durch Medikation und Lebensführung auszutarieren versuche und mir hilft dabei auch das Vertrauen in gute Beziehungen und das offene damit umgehen, sodass heute sehr viele Menschen in meinem Umfeld davon wissen und ich auch beruflich wie "Ansprech-Anker" habe. Menschen, die ich auch angewiesen bzw. gebeten habe, im Notfall einen Arzt zu rufen. Schlimmer ist immer das Sich-schämen und -verstecken und klein-machen usw. Ich sage nicht, dass ich es jedem empfehlen würde, offen mit einer psychischen Krankheit umzugehen, klar, ich würde es mir wünschen, aber gerade im beruflichen Kontext wo Leistung (in unserer Gesellschaft) immer noch sehr wichtig und für viele immens identitätsstiftend ist, kann ich zwar für mich sagen, ich gehe offen damit um, aber kann auch verstehen, dass andere Menschen hier vorsichtiger sind.

Gleichzeitig hätte ich persönlich meine Gedichte niemals so geschrieben und auch mein Leben nicht so gelebt, ohne diese Erfahrungen und ohne diese "Fülle an unterschiedlichsten Zuständen". Zudem würde ich das "innere Heilsein" nicht in Kategorien von gesund und krank einordnen. Das "schalom", der Friede, das Heil im Inneren ist nicht davon betroffen! Ich kann also durchaus in mir einen Frieden und ein Heil- und Ganzsein finden, und - dennoch eine Krankheit haben oder auch gesund sein. Für mich ist das eine wichtige Feststellung und Grundlage: Das Heil des Menschen hängt nicht von seiner psychischen Verfasstheit ab: Gott schenkt das Heil. Gott schenkt das Leben. Gott schenkt: sich - uns - auch und gerade in unserer Niedrigkeit, Schwachheit und in unserer Ferne. 

Nach diesem theologischem Einschub weiter im Text: Ich bin definitiv kein Medikations- und auch kein Psychiatriegegener und bin rückblickend zufrieden mit der Art und Weise wie ich in akuten Phasen behandelt wurde und finde generell, dass die Psychiatrie und auch die Gesellschaft im Umgang mit Seelischen Störungen heute auf einem ganz guten Weg ist. Kritisch bin ich gegenünger leichtfertig zugeschriebenen Diagnosen, die es heutzutage ja für so ziemlich jeden Zustand gibt... Zu festgesetzte und generalisierend festgelegte Diagnosen und eingefahrenes Krankheits-"Schubladen"-Denken sehe ich jedoch als problematisch an. Klar, es dient im akuten Zustand der Behandlung und hilft Komplexität zu reduzieren und dann hat man etwas das behandelt werden kann, doch wird es - meiner Meinung nach - dem Erleben des Einzelnen (im Klinikalltag) oftmals nicht wirklich ganz gerecht. Deswegen bin ich an dem Punkt einfach kritisch, wenngleich ich sehe, dass es dann doch Diagnosen als Schablonen braucht, um behandeln zu können. Doch: Die Person ist immer mehr als ihre Diagnose und: Auch ein Leben ohne Extreme - ist dann doch in letzter Konsequenz auch wieder: extrem! :-) Neben der Ursachenforschung sollte der Blick auf zukünftige, konkrete Ziele nicht aus dem Blick geraten. Gerade bei bipolaren Störungen, ist eine Kombination aus Phasenprophylaxe und einer stabilisierenden, wenig stressigen Lebensführung (mitunter in Kombination mit Psychotherapie) hilfreich. So meine Erfahrung. Zu viel Vergangenheitserforschung kann auch hinderlich sein. 

Denn ohne Extreme - was würden wir tun? Woran würden wir unsere Grenzen erkennen? 

Wir, so glaube ich, bewegen uns als Menschen immer zwischen den beiden extremen Polen von Gesundheit und Krankheit. Physisch wie psychisch. Und es gibt Hochstimmungen und Tiefstimmungen (die jeder in gewissen Ausprägungen kennt und) die durchaus im "normalen" (sprich: im gesellschaftlich noch tolerierbaren) Spektrum zu verorten sind. Die wirklich extremen, manisch-energetisch-völlig-überhöhten, teils entrückten (an der Ewigkeit anklopfenden), schlichtweg höchst "akut aufbrechende" Phasen die sind tatsächlich oftmals behandlungsbedürftig und können auch gefährlich für den Menschen selbst, für sein Sozialleben sowie für seine Arbeit, seine Finanzen, und mitunter auch für andere Menschen sein. Gleichzeitig kann man auch - durch Erfahrung - lernen, rechtzeitig (medikamentös) gegenzusteuern. Völlig ent-grenzte Hochzustände sind in der Regel nicht mehr angenehm und auf Dauer gut aushaltbar sondern so intensiv getrieben-übersteigert, dass der Leidensdruck oder ein Eingreifen aufgrund des auffällig veränderten Verhaltens der Person (alarmierte Angehörige, Freunde, Kollegen) letztlich zum Psychiater oder in eine Psychiatrie und in eine entsprechende Behandlungsform führt.

Hypomanien oder leichte Depressionen hingegen sind, meiner Laien-Meinung nach, nicht unbedingt behandlungsbedürftig, sondern gehören zum normalen Leben dazu. Auch der Lebensstil (Bewegung ja/nein, Ernährung, Vollzeit-Job-Stress oder Teilzeittätigkeit, genügend Schlaf, Stressbewälltigung, Süchte ja/nein) spielt eine große Rolle. Medikamenten gegenüber ist meine Haltung: So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Ich nehme meinen Stimmungsstabilisierer vor allem um nicht in eine Manie (extrem übersteigerte Hochstimmung) zu verfallen. Auch wenn diese Zustände wirklich "himmelhoch-jauchzend" sind und man sich wirklich - eine Zeit lang - extatisch entrückt - wie im Himmel anfühlen, so - meine Erfahrung (mehrfach) - landet man dann doch immer wieder auf dem (dann doch echt harten) Boden der Tatsachen und dann geht es langsam (und mühsam) wieder hoch oder besser gesagt: voran. Ich versuche also, durch Medikation und eine entsprechende Lebensführung Stress bestmöglichst zu vermeiden und aktiv Sport zu treiben und möglichst "ausgeglichen" zu leben. Auch da wird jede und jeder einen eigenen Weg finden, sicherlich auch der Persönlichkeitsstruktur und den eigenen Anlagen sowie der Schwere der Ausprägung entsprechend. Auch nach über 10 Jahren Erfahrung mit den diversen Zuständen finde ich es noch spannend, seit einigen Jahren auch vermehrt anstrengend und ermüdend, damit umzugehen. Ich habe in meinen Gedichtebänden von "StigmaVerziert" bis "Himmeleinhundert" ein buntes Paket an Worten für meine vielfältigen persönlichen Erfahrungen und deren Integration gefunden und verbleibe jetzt, zum Abschluss:

Kommentarlos-an-den-Dingen

Bei Rückfragen können Sie sich gerne melden: simon.geiger [at] yahoo.de 



Assoziationen zu einem besseren Verständnis besonderer Bewusstseinszustände

Eine Manie
ist eine wahnhaft-krankhafte Erhöhung des Ego-Ichs. Ein energetisch extrem erhöhter Bewusstseinszustand mit gedanklicher und affektiver Zerstreuung (Beschleunigung der Bewusstseinsströme). Das Bewusstsein der betroffenen Person zerspringt in viele tausend Einzelteile: Zerstreuung mit wilden (nur für die Person selbst einen Eigen-Sinn ergebenden) Assoziationen im Rausch extremst beschleunigter Gedankenströme und tiefempfundener (Glücks-)Gefühle, die in wahnhaften, der Realität entrückten, Gefühlsexstasen gipfeln können. Die gigantische Fülle gegenwärtiger Wahrnehmungen, die überfallartig auf mehreren Bahnen gleichzeitig einströmen, werden in Verbindung zum eigenen Selbst und der eigenen (Lebens-)Geschichte gesetzt, was letzten Endes jedoch zum Scheitern verurteilt ist, da sich die ungebremste Wahrnehmungsgeschwindigkeit einer klaren Einordnung entzieht. Egomanische Selbst-Erhöhung bis hin zum Bruch und zur Auflösung der eigenen Grenzen, die zwischen Außen- und Innenwelt fließend ineinander verschwimmen. Das hilflose Selbst sucht schließlich Hilfe und Halt, Befestigung und Anknüpfungspunkte im Außen, da im Inneren nur noch Chaos herrscht. Orientierung, die innerlich nicht mehr möglich ist, wird zwanghaft und ziellos versucht in der entrückten Außenwelt wiederherzustellen. Doch: Wohin fliehen, wenn alle Realitätsstricke und Wirklichkeitsbezüge zerreißen und der Boden unter den Füßen - ohne Vorwarnung - zerbricht? Was hält einen noch in einer, sich immer weiter entfernenden Realität, in welcher Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit in einem einzigen Punkt als Konglomeratswahnsinn im eigenen Selbst miteinander verschmelzen? #up

Eine Depression ist eine verzerrt-krankhafte Erniedrigung des Ego-Ichs. Ein extrem eingeschränkter, begrenzt-niedriger Bewusstseinszustand (Verlangsamung der Bewusstseinsströme). Der Erkrankte verliert sich in sich und hat keinen Bezug mehr zu seinen inneren Kraftquellen. Er hat sich verloren und ist gewissermaßen in sich hinein "gefallen". Der eigene Aggressiontrieb wird nicht mehr nach Außen auf andere Personen übertragen, sondern er kehrt sich (im Gegensatz zur Manie) um und wird auf die eigene Person bezogen: Selbsthass, Selbstzerstörung, Selbstverletzung, Selbsterniedrigung sind die Folgen. Torpedierung einer gesunden, liebevollen Selbstbezogenheit. Aus einer immer stärker werdenden Beziehungsarmut entsteht schließlich ein tiefer Graben, eine Trennung und gestörte Verbindung zur Außenwelt; die Person fühlt sich wie hinter einem nebligen Schleier, abgeschnitten vom Farbreichtum einer heilen, bunten, glücklichen Welt. Zudem ist der Kontakt zu den Mitmenschen stark beeinträchtigt. Der Betroffene verliert die innige, liebevoll-zugewandte Beziehung zu seinen Mitmenschen, wie wenn ein scharfes Schwert die Lebensbezüge und Beziehungen zwischen dem Betroffenen und allem Lebendigen um und in ihm zerschnitten hätte. Der Mensch befindet sich in einem Zustand des schmerzlichst gefühlten Abgretrenntseins, gewissermaßen in der „Hölle auf Erden“. Aus Scham verkriecht sich die Person immer weiter und tiefer zurück ins eigene Schneckenhaus; verliert und verkrampft sich, versumpft und verschwindet in der trüben, tiefen Wirrnis des eigenen, eisigen Schweigens. #down

Foto von Julia Dreier; Mehr Fotografie von Julia gibt es hier!

Kann ein ständiges Stimmungs-Pendeln zwischen beiden Extremzuständen in eine kontinuierliche Stabilität überführt werden? Und wenn ja, wie? 

Ich denke, dass der wichtigste Punkt im Prozess der Gesundung und Stabilisierung die Selbstannahme (Self-Care/ Mitgefühl mit sich selbst) ist sowie das Erleben und Erfahren von Vertrauen. Vertrauensvolle Beziehungen und ein ganz gewöhnliches, geerdetes Eingebundensein in einen normalen, bodenständigen Alltag. Ich glaube zudem fest, dass es durchaus möglich ist, einen Mittelweg zwischen den beiden Extremen (oder ist Leben nicht immer multipolar?) hindurch zu finden, ggf. auch mithilfe von Medikamenten, um nicht immer wieder aufs Neue hilflos und haltsuchend zwischen extremen Ausnahmezuständen hin und her schwanken zu müssen. Ein wesentlicher Bestandteil des Wiederheilwerdens ist - meiner Meinung nach - zudem das (immer wieder neu) Erfahren von stützenden, vertrauensvollen Beziehungen sowie ein gesundes Stressniveau (kein Kaputtmachen) im Bereich zwischen Unter- und Überforderung. Grundlegend-stabile, liebevoll-menschliche Beziehungen und ein gesundes Maß an Normalität irgendwo zwischen Ups und Downs: Selbstannahme-Erfahrungen, die im Alltag gefestigt sind und somit Sicherheit, Stabilität und Stimmungskontinuität ermöglichen. Letztlich hängt jede Störung aber auch mit der eigenen Person sowie mit dem System zusammen in welches ein Mensch eingebettet ist sowie von einer Vielzahl von biopsychosozialen Faktoren (Veranlagung, Wohnverhältnisse, unverarbeitete Traumata, Arbeitsverhältnisse, familitäre Situation, interne und externe Stressfaktoren, Gesundheit, Genetik, Selbstwert, usw.). Demgemäß gibt es definitv keine einfache, vollumfängliche Lösung die für jeden Betroffenen gültig ist, sondern jeder Einzelfall ist anders und muss demnach auch anders behandelt und angegangen werden. Wer einfache Antworten auf derart komplexe Fragestellungen gibt und ein "Alles-Heil-Wunder-Mittel" verspricht, liegt falsch. Wer allein "das unmenschliche psychiatrische System", "den Kapitalismus", "die Klimakrise" oder "die Anderen" zur Zielscheibe macht, um sich nicht mit sich selbst auseinandersetzen zu müssen, liegt vermutlich genauso daneben wie derjenige, der die "Störung" einzig und allein dem Betroffenen anlastet und dessen Streben nach Besonderheit jenseits eines gesunden Maßes gewöhnlicher Normalität. #balance